Besuch der St.-Gertraud-Kirche

Frankfurt an der Oder

Nicht Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist, der 1777 in Frankfurt Oder geboren wurde und 1811 in Berlin den Freitod wählte, war unser Hauptziel an diesem Tag sondern die Sankt Gertraud Kirche mit ihren wertvollen Kunstschätzen.
Der Weg dorthin führte uns durch die schöne Wohnanlage am Kiliansberg in deren Mitte seit 1932 ein Denkmal für die Gefallenen Eisenbahner des 1. Weltkrieges der Eisenbahnbezirksdirektionen Bromberg, Danzig und Posen steht. Seine Geschichte ist eine Geschichte für sich.
Zwei Kirchen prägen das Bild der Stadt: St. Marien und St.- Gertraud.

St. Gertraud mit Ehrenmal

St. Marien wurde 1253 erbaut. Sie beherbergte wertvolle Kunstschätze. Eine Besonderheit sind die drei große Bleiglasfenster, die zwischen 1360 und 1370 entstanden. Sie sind im Stil der Gotik gefertigt, bestehen aus insgesamt 117 Bildern und stellen die Schöpfungsgeschichte der Welt, das Leben von Adam und Eva, den Bau der Arche und das Leben Christi dar.
Mit zur Ausstattung von St. Marien gehörten ein mittelalterlicher Hochaltar, eine Bronzetaufe, und ein siebenflammiger Leuchter, auf die ich noch zu sprechen komme.
St. Gertraud ist der Nachfolgebau einer 1368 an dieser Stelle errichteten Kapelle.

Beide Kirchen ereilte das gleiche Schicksal. Im April 1945 wurden sie ein Opfer von Bomben und Granaten. Aber es gab weitsichtige Leute, die schon 1939 zu Kriegsbeginn vorhersahen, wie die 1000 Jahre zu Ende gehen würden. Überall in Deutschland wurden Denkmäler eingemauert, Bilder und Kunstgegenstände an vermeintlich sichere Orte verbracht.
So auch in St. Marien: Fenster, Leuchter und Taufe wurden in den unteren Gewölben untergebracht, den Hochaltar mauerte man ein und als dann 1945 das Dach der Kirche einstürzte, haben sie es unbeschadet überstanden.
Interessant ist die Geschichte der Fenster nach 1945. Sie wurden zu Beutegut erklärt, erst nach Potsdam und dann in das Kriegsbeutelager 1 der Roten Armee am ehemaligen Zentralen Viehhof in Berlin verbracht, von wo aus man sie nach Petersburg verfrachtete. Erstaunlich, dass man sie nach all den Wirren der Nachkriegszeit nach der Wende wiederfand und dass sie zurückgegeben wurden. Heute sind sie wieder in der Kirche St. Marien zu bewundern. Diese allerdings ist jetzt nur noch ein sozialkulturelles Zentrum und wird nicht mehr für Gottesdienste genutzt.
Die kirchlichen Aufgaben für die Ev. Gemeinde Frankfurt Oder hat die St. Gertraud- Kirche übernommen. Weniger zerstört als St. Marien war sie für Gottesdienste leichter herzurichten und konnte schon 1949 wieder benutzt werden. Ende der 70ziger Jahre wurde sie umgebaut und den Erfordernissen der Gemeinde angepasst. Der Hochaltar, die Taufe und der Leuchter aus St. Marien wurden integriert. Eine Zwischendecke wurde eingezogen und in dem so gewonnenen Raum entstanden Büro und Gemeinderäume.
Vor diesen standen wir nun und wurden von einer Dame des Fördervereins freundlich begrüßt, die uns über die Geschichte der Kirche und auch über die Gründe ihrer Umbauten informierte. Auf das Schlimmste vorbereitet waren wir beim Betreten der Kirche sehr angenehm überrascht: Ein weiter heller Raum nahm uns in Empfang, vom Licht der zu dieser Jahreszeit tief stehenden Sonne durchflutet. Ein allgemeines, anerkennendes Raunen ging durch die über dreißig Köpfe zählende Gastgemeinde.

Hochaltar von St. Marien

Dominierend ist der Blick auf den Hochaltar aus dem 15. Jahrhundert. Er hat drei aufklappbare Flügel und kann so für normale Werktage, Sonntage und hohe kirchliche Feiertage genutzt werden. Auch die sechseckige Taufe aus dem 14. Jahrhundert, die eine Höhe von 4,70 Metern hat ist ein Blickfang. Im ersten Moment denkt man: „Aha Schinkel“. Da aber Schinkel erst 1781 geboren wurde, ist das schlechterdings nicht möglich. Es könnte eher umgekehrt der Fall gewesen sein.

Taufe von St. Marien

Schinkel wurde nämlich 1826 zu Hilfe gerufen, als der Südturm der Marienkirche eingestürzt war und man fachlichen Rat brauchte. Er könnte von der Taufe für spätere Werke inspiriert worden sein. Die Reliefs der aus Bronzeguss hergestellten Taufe, die ursprünglich vergoldet war, erzählen das biblische Leben von Adam und Eva bist zur Auferstehung Christi.
Nicht zu übersehen bei diesen Betrachtungen ist der mittelalterliche Bronzeleuchter aus der Zeit um 1375, der über vier Meter hoch und vier Meter breit ist. Er ist einer der größten mittelalterlichen Leuchter Europas. Ähnlich große Exemplare findet man nur noch in Kolobrzeg (Kolberg) und Mailand. Die Flammen symbolisieren die sieben Gaben des Geistes: Die der Weisheit, des Verstandes, des Rates, der Stärke, der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.

Bronzeleuchter von St. Marien

Schon im 30jährigen Krieg wurde er aus Angst vor der räuberischen Soldateska in der Oder versenkt. Angesichts der Ausmaße ein schwieriges Unterfangen. Eingemauert, versenkt, in den Osten deportiert! Dass die Kunstwerke 700 kriegerische Jahre überstanden haben und sich heute immer noch oder wieder im Raum Frankfurt Oder befinden, grenzt nahezu an ein Wunder. Es braucht aber dafür aber auch immer wieder Menschen, die sich des Wertes dieser Dinge bewusst sind.

Zum Ende der Führung wurde uns auf der Sauer Orgel aus dem Jahre 1879 die Klangfülle des romantisch geprägten Instrumentes vorgeführt.
Damit war unsere Aufnahmefähigkeit erschöpft. Ein kurzer Spaziergang, vorbei an der Gedenkstätte für 600 gefallene sowjetische Soldaten, auf dem Ziegenwerder und hier entlang der Oder brachte uns in die 24. Etage des Oderturmes, einem Bauwerk das nach achtjähriger Bauzeit 1976 als Bürogebäude geplant und nach der Wende für 145 Millionen Euro in eine moderne Einkaufpassage mit viel Bürofläche und einer Gastronomie verwandelt wurde. Die Aussicht war hervorragend, was man vom Essen nur bedingt behaupten konnte.

Hartmut Wieseke

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