Eine Geschichte im Familiengottesdienst
Haben Sie schon einmal vom vierten König gehört? Jeder kennt natürlich die Geschichte von Caspar, Melchior und Balthasar, aber was weiß man vom vierten König? Wenn Sie am 16. Januar um 11 Uhr beim Familiengottesdienst waren, sind Sie nicht nur gut informiert, sondern haben ihn sogar gesehen! Das war nämlich etwas ganz Besonderes.
Die Besucherzahlen schnellten kurz vor 11 nach oben, und so war unsere Kirche für einen Gottesdienst an einem weiteren Corona-Sonntag gut gefüllt, darunter auch zahlreiche Kinder. Da es sich um einen Familiengottesdienst handelte, erklang zu Beginn das traditionelle Lied „Hallo, hallo, schön, dass du da bist“ – als Instrumentalversion. Nach dem gemeinsam gesprochenen Psalm 100 stimmte vorsichtig der eine oder andere mit ins Gloria ein. Nach der Lesung war es dann so weit – es folgte die Erzählung vom vierten König.
Während Britta Schröter und Frauke Lobeck die Legende abwechselnd erzählten, setzte sich Marcus Wellhausen eine Krone auf, bestieg sein imaginäres Pferd und nahm uns mit auf seine lange Reise.
Außer Caspar, Melchior und Balthasar war auch ein vierter König aus dem Morgenland aufgebrochen, um dem Stern zu folgen, der ihn zu dem göttlichen Kind führen sollte. Drei wertvolle rote Edelsteine hatte er mitgenommen, um sie dem Kind zu schenken. Mit den drei anderen Königen hatte er einen Treffpunkt vereinbart. Aber sein Reittier lahmte unterwegs. Er kam nur langsam voran, und als er bei der hohen Palme eintraf, fand er eine kurze Botschaft, in den Stamm des Baumes eingeritzt. „Wir konnten nicht länger auf dich warten. Wir ziehen weiter nach Bethlehem und erwarten dich dort!“
Er ritt weiter und entdeckte am Wegrand ein Kind, das bitterlich weinte. Voll Mitleid nahm er das Kind auf sein Pferd und ritt in das Dorf zurück, durch das er zuletzt gekommen war. Er fand eine Frau, die das Kind in Pflege nahm. Aus seiner Tasche nahm er einen Edelstein und sagte zum Kind: „Hier, nimm den Stein, er soll sicherstellen, dass du immer genug zu essen, zu trinken, Kleidung und einen Platz zum Schlafen hast. Ich muss weiter, dem Stern nach.“
Und während König Wellhausen die Suche nach dem Stern aufnahm, ging die Erzählung weiter. Er stieß auf eine Familie, die den Vater verloren hatte. Aufgrund der Schulden sollten die Frau und die Kinder als Sklaven verkauft werden. Der vierte König nahm den zweiten Edelstein, der ja eigentlich für den neugeborenen König gedacht war, aus seiner Tasche und schenkte ihn der Frau, damit sie ihre Schulden begleichen und sich ein Haus kaufen konnte.
Und wieder machte sich der König auf die Suche nach dem Stern. Er durchquerte ein Land, in dem der Krieg wütete. Er sah das Elend der Bauern, die von Soldaten zusammengetrieben worden waren und setzte seinen letzten Edelstein ein, um sie zu retten.
Auch wenn das Dorf mit seinen Menschen nun gerettet war – sein Stern leuchtete nicht mehr. Er wanderte jahrelang umher und kam irgendwann am Hafen einer großen Stadt an. Er hatte sein Pferd verschenkt und besaß nun rein gar nichts mehr. Doch als er sah, dass ein Mann seiner Familie entrissen werden sollte, um auf einem Galeerenschiff zu arbeiten, bot er sich selbst zum Tausch an.
Es vergingen wieder viele Jahre. Irgendwann erlangte der König tatsächlich seine Freiheit zurück und irgendwann leuchtete auch sein Stern wieder auf. Er träumte von seiner Jugend, von der Zeit, als er aufgebrochen war, um den König aller Menschen zu finden. Eine Stimme rief ihm zu: „Eile, eile!“ Und sofort bricht er auf.
Er kommt an die Tore einer großen Stadt. In ihren Straßen herrscht lärmendes Treiben. Und da, inmitten der Menge, sieht er ihn. Den vierten König trifft der Blick von Jesus. Er erkennt in ihm, dass er sein Ziel erreicht hat. Dies ist der König der Menschen. Es ist, als trage dieser alle Freude, alles Leid der Erde in sich. In seinem Blick liegt das Wissen um die Menschen, aber auch so viel Wärme. Der vierte König sinkt in die Knie, seine Hände leer, zum Empfangen bereit.
Er erkennt: Er ist es, den ich gesucht habe. Auf dem Weg zu ihm ist er ihm schon lange begegnet – in all den Menschen, die der Hilfe bedurften. Er hat sich vom göttlichen Licht den Weg scheinen lassen, auch dann, wenn er es gar nicht gesehen hat; vielleicht, weil es ihn bereits umgeben hat, weil Gott einen hellen Schein in sein Herz gegeben hat, auf das er gehört hat.
Und wir? Wir stehen da, verweilen noch einen Augenblick, um aufzubrechen in die kommende Zeit. Wir stehen vor Jesus wie der vierte König, mit leeren, aber offenen Händen.
Und Gott füllt sie, damit wir leben und geben können.
Pfn. Lydia Grund-Kolbinger, Annette Mühlenfeld